Die Liebe
  
Weißt du, was die Liebe ist?
 
Ach, ein Kind mit leisen Schwingen;
 
Schwärmend bald und bald voll Scherz
 
Müht es sich in jedes Herz
 
Los' und luftig einzudringen.
 
Zagend jetzt und jetzt voll Mut,
 
Laulich jetzt und jetzt voll Glut,
 
Kennst du es? das ist die Liebe.
 
 
Sag mir, wo die Liebe wohnt!
 
In des Lenzes Duftgefilden
 
Baut sie sich ein grünes Haus,
 
Schmückt es bunt mit Blüten aus
 
Und mit zarten Traumgebilden.
 
Ach, du brauchst es nur zu sehn
 
Und schon haucht der Weste Wehn
 
Dir ins Ohr: Hier wohnt die Liebe!
 
 
Kennst du ihren Zeitvertreib?
 
Tändelnd kost sie mit dem Weste,
 
Wiegt sich auf der Blüten Duft,
 
Baut sich träumend in der Luft
 
Zauberische Goldpaläste,
 
Mischt zu Schmetterlingen sich:
 
Doch nicht lange täuscht sie dich,
 
Denn ihr Spiel verrät die Liebe.
 
 
Doch wie lebt das zarte Kind?
 
Wie ein Bienchen schwelgt sie immer
 
In der Blüten weichem Schoß,
 
Füttert sich mit Düften groß
 
Und mit warmem Sonnenschimmer;
 
Tränen die Aurora taut
 
Und der Weste klagelaut
 
Sind die stete Kost der Liebe.
 
 
Weiß sie auch was Tränen sind?
 
Wenn des Lenzes Rosenwangen
 
Bleichend nach und nach verglühn,
 
Wenn die Kränze nicht mehr blühn,
 
Die um seine Stirne prangen,
 
Wenn er scheidet von der Flur,
 
Ach, dann weinet die Natur,
 
Und es weint mit ihr die Liebe.
 
 
Aber kennt sie auch den Tod?
 
Wenn im Hain die Stürme brausen,
 
Wenn, vom rauen Hauch berührt,
 
Jeder zarte Halm erfriert
 
Und des Winters Mächte hausen,
 
Dann muss alles Schöne fliehn,
 
Und, um schöner aufzublühn,
 
Senkt in's Grab sich auch die Liebe.
  Ernst Schulze 1789 - 1817
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