An Laura
Ewig starr an deinem Mund zu hangen,
Wer enthüllt mir dieses Glutverlangen?
Wer die Wollust, deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken?
Fliehen nicht, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich dich erblicke?
Sprich! warum entlaufen sie dem Meister?
Suchen dort die Heimat meine Geister?
Oder finden sich getrennte Brüder,
Losgerissen von dem Band der Glieder,
Dort bei dir sich wieder?
Waren uns're Wesen schon verflochten?
War es darum, dass die Herzen pochten?
Waren wir im Strahl erlosch'ner Sonnen,
In den Tagen lang verrauschter Wonnen,
Schon in Eins zerronnen?
Ja, wir waren's! - Innig mir verbunden
Warst du in Aeonen, die verschwunden;
Meine Muse sah es auf der trüben
Tafel der Vergangenheit geschrieben
Eins mit deinem Lieben.
Und in innig fest verbund'nem Wesen,
Also hab' ich's staunend dort gelesen,
Waren wir ein Gott, ein schaffend Leben,
Und uns ward, sie herrschend zu durchweben,
Frei die Welt gegeben.
Und entgegen gossen Nektarquellen
Ewig strömend ihre Wollustwellen;
Mächtig lösten wir der Dinge Siegel,
Zu der Wahrheit lichtem Sonnenhügel
Schwang sich unser Flügel.
Weine, Laura! dieser Gott ist nimmer,
Du und ich des Gottes schöne Trümmer,
Und in uns ein unersättlich Dringen,
Das verlor'ne Wesen einzuschlingen,
Gottheit zu erschwingen.
Darum, Laura, dieses Glutverlangen,
Ewig starr an deinem mund zu hangen,
Und die Wollust deinen Hauch zu trinken,
In dein Wesen, wenn sich Blicke winken,
Sterbend zu versinken.
Darum flieh'n, wie ohne Widerstreben
Sklaven an den Sieger sich ergeben,
Meine Geister hin im Augenblicke,
Stürmend über meines Lebens Brücke,
Wenn ich dich erblicke.
Darum nur entlaufen sie dem Meister,
Ihre Heimat suchen meine Geister,
Losgerafft vom Kettenband der Glieder,
Küssen sich die lang getrennten Brüder
Wiederkennend wieder.
Und auch du - da mich dein Auge spähte,
Was verriet der Wangen Purpurröte?
Floh'n wir nicht, als wären wir verwandter,
Freudig, wie zur Heimat ein Verbannter,
Glühend aneinander?
Friedrich von Schiller 1759 - 1805
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